Shadowrunner
erfahrenes Mitglied
Es ist windig, der Himmel behangen. Ein warmer Märztag. Eine Stimmung, wie sie zu erwarten war in einer Geisterstadt. Wären da nicht die Spaziergänger, die sich die morbide Atmosphäre auch nicht nehmen lassen wollten, die Gaffer, die den Untergang auch miterleben wollten, ein Teil davon, einerseits den Aufschreien gefolgt, andererseits einfach sensationsgeil... aber kann man es ihnen verübeln?
"Doel moet blijven" hallt regelrecht durch die fast leeren Gassen einer kleinen Stadt in Belgien. Aufmerksam geworden durch Bilder und belgische Zeitungsberichte standen ich und ein Kumpel nun in der kleinen Stadt, die der Erweiterung des Antwerpener Hafen weichen wird.
In der Höchstzeit lebten dort 2000 Menschen, als wir es besuchten konnte man vermutlich die Einwohner an beiden Händen abzählen. Aber diese Hand voll lässt sich nicht vertreiben, sie wehrt sich weiterhin. 2020 wird es aber dennoch so weit sein. Die Stadt wird weichen, egal was passiert.
1995 kamen die ersten Expansionspläne auf den Tisch, wurden abgesegnet, gestattet. Aber sofort wehrten sich die Bewohner. Mit der Unterstützung von einem ehemaligen Senator, Filmproduzenten und weiterer Prominenz wurde Klage eingereicht. Anklagepunkt: Fehler und Rechtswidrigkeiten bei der Durchsetzung. Die Klagen kamen zum Teil durch, verzögern vermutlich immernoch den Abriss. Man mag sich wirklich im ersten Moment wundern, warum die Leute so um ihr Dorf kämpfen... durch eine vorherige Erweiterung ist der Hafen schon bis an die Stadtgrenze herangeschlichen, bedrohlich und omnipräsent...
Auf der anderen Stadtseite ein Kernkraftwerk. Wirklich ein traumhafter Ort zum leben denkt man sich!
Und dennoch, es wird gekämpft um eine Stadt die einmal sogar eine Insel war. Eine Stadt mit Tradition die bis ins Jahr 1267 zurückverfolgt werden kann... und nun wegen der Habgier weichen soll. In der Hinsicht ist es ein Kampf für Traditionen, für Existenzen, die Bewohner setzen ein Zeichen für Generationen und nicht nur für sich. Dennoch wurde der Druck für viele zu groß. Viele verließen Doel, aus Angst, wegen der unsicheren Lage und beugten sich den Plänen und leerten die Straßen fast vollends... auch wenn die Bewohner die Option hatten, wenn die Erweiterung doch nicht vollzogen wird ihre Häuser zum gleichen Preis wieder zurückzubekommen, so versprach es die Bank... so verfallen die Gebäude vor sich hin...
...es ist wirklich eine komische Atmosphäre durch die man sich bewegt... eher wie in einem Horrorfilm, bekannt höchstens von alten Kasernen und nicht von einer ganzen Stadt...
...aber immer wieder mit dem Zeichen von Widerstand und von Leben!
...und trotzdem umzingelt vom Kommerz...
Wir kennen solche Orte eventuell durch den Bergbau sogar in größerem Maßstab, aber nirgendwo habe ich bisher diesen Widerstand, dieses aufbäumen erlebt. Bis 2006, also 11 Jahre nach der Absegnung der Pläne zählte die Stadt immernoch 202 Einwohner, obwohl 2003 die Dorfschule sogar schon schließen musste, da sie nur noch 8 Anmeldungen bekommen hat, wollten 10% der Bewohner den Kampf immernoch nicht aufgeben. Und langsam gewann das Ganze Aufsehen in den Medien. Hausbesetzer folgten den Hilfeschreien, geschätzt 150-200 sammelten sich zu der Blütezeit des Widerstands in der Stadt und unterstützten die restlichen Bewohner. Es folgten Unmengen von Anzeigen wegen Einbruchs und Hausfriedensbruch gegen die Besetzer, da die Bank die das ganze verwaltete ja mittlerweile im Besitz vieler Häuser war. Es wurden zur Eingrenzung und wegen der baufälligen Zustände Gebäude im Auftrag der Bank abgerissen, sie wollten ein Zeichen setzen und schafften sich so selbst ein Problem. Der Abriss war nicht genehmigt, es galt noch nicht als Werskgelände sondern als ausgeschriebene Stadt und somit durften die Gebäude noch gar nicht weichen.
Eine Klage folgte und eine Strafe in Millionenhöhe!
Aber all das half nichts. Die Stadt wird weichen. Vermutlich stehen mittlerweile schon viele Häuser nicht mehr. Die Bank hatte die Nase voll, das Versprechen wird nicht gehalten, egal ob der Hafen erweitert wird oder nicht, die Stadt wird abgerissen.
Mit diesem Wissen standen wir da nun und fragten uns selbst, was würden wir in der Lage der Bewohner tun? Hätten wir die Kraft solch einen Widerstand zu betreiben? Vermutlich nicht. Vermutlich wird so etwas einmalig bleiben. Auch heute wo der Widerstand gebrochen scheint, hängen ab und an noch Banner, manche Leute wohnen immernoch dort, zum Teil gescheiterte Persönlichkeiten, wie ein Messi in einem alten Elektronikladen, der den streunenden Katzen und Hunden Futter vor die Tür gestellt hatte... Futter welches schon lange verschimmelt war, Wassernäpfe die schon lange leer waren, so leer wie das Innere dieses Menschen, der zwischen Müll in dem Laden saß... andere sind noch immer da um ein Zeichen zu setzen. Gärten wurden umgenutzt um Artikel über die Lage auszustellen, Gedichtsammlungen, Samlungen aus Comics die zum Thema passen oder sogar dafür gemacht wurde...
Wirklich gute Graffitis zierten viele Häuserwände. Meistens hatten sie nur ein Thema, den Umgang mit der Existenz von vielen zu demonstrieren, die Behandlung wie Ratten...
...die Ohnmacht der Leute, die wegen ein paar habgierigen Leuten ihr ganzes Leben hinter sich lassen mussten, ihrer Heimtsatdt bei der Zerstörung zusehen mussten...
...und so wanderten wir durch diese Stadt und trotz der Leute war es das Tor zu einer anderen Welt. Einer Welt aus Verzweiflung, aus Habgier und aus einem schier endlosen Willen zu Überleben. Es war ruhig dort, es war ein Ort zum Entspannen, trotz des Hafens auf der einen und dem Atomkraftwerk auf der anderen Seite...
Vielleicht wundert ihr euch, warum ich keine Bilder aus dem Innern der Häuser zeige? Das war nicht möglich, es fuhr durchgehend ein Herr durch die Stadt, der darauf aufpasste. Viel zu tun hatte er an dem Tag mit den ganzen Schaulustigen... viel meckerte er, bei uns musste er nicht meckern, kurze Blicke in aufgebrochene Türen waren das einzige was wir machten... ich kann nichtmal sagen ob wir sonst in die Gebäude reingegangen wären, vermutlich schon, aber vielleicht auch nicht. Wir sogen die Stimmung in uns auf und man fühlte sich schon irgendwie als Fremdkörper in einer Stadt die sich gegen alles gewehrt hat und trotzdem verlor... so war auch irgendwie die Frage im Hinterkopf, ob diese Stadt wirklich noch mehr ungewünschte Eindringlinge ertragen sollte... es fanden sich auch so genug Hinterlassenschaften...
Nach Stunden wollten wir uns langsam von der Stadt entfernen, so setzten wir uns zum Abschluss auf einen der Deiche, die die Stadt Ewigkeiten vor der Naturgewalt des Wassers geschützt haben... schauten uns nochmal um...
...und ich merkte eines... Naturgewalten sind lange nicht so schlimm, wie die reine Habgier der Menschen... vor Naturgewalten gibt es Chancen sich zu verteidigen, vor Geld und der Suche nach noch mehr Geld.... scheinbar nicht. So endete am späten Nachmittag unser Tag mit einer sehr ruhigen inneren Atmosphäre, Bildern als Dokumentation eines Niedergangs der nicht hätte sein müssen und dem Gefühl, ein Teil des Ganzen gewesen zu sein... wie ich eingangs sagte: Kann man es den Schaulustigen verübeln, dass sie auch ein Teil davon sein wollten? Ich denke eher nicht. Denn je mehr Leute sich diesen Niedergang zu Herzen nehmen, ein Teil davon werden, desto länger lebt Doel weiter...
"Doel moet blijven" hallt regelrecht durch die fast leeren Gassen einer kleinen Stadt in Belgien. Aufmerksam geworden durch Bilder und belgische Zeitungsberichte standen ich und ein Kumpel nun in der kleinen Stadt, die der Erweiterung des Antwerpener Hafen weichen wird.
In der Höchstzeit lebten dort 2000 Menschen, als wir es besuchten konnte man vermutlich die Einwohner an beiden Händen abzählen. Aber diese Hand voll lässt sich nicht vertreiben, sie wehrt sich weiterhin. 2020 wird es aber dennoch so weit sein. Die Stadt wird weichen, egal was passiert.
1995 kamen die ersten Expansionspläne auf den Tisch, wurden abgesegnet, gestattet. Aber sofort wehrten sich die Bewohner. Mit der Unterstützung von einem ehemaligen Senator, Filmproduzenten und weiterer Prominenz wurde Klage eingereicht. Anklagepunkt: Fehler und Rechtswidrigkeiten bei der Durchsetzung. Die Klagen kamen zum Teil durch, verzögern vermutlich immernoch den Abriss. Man mag sich wirklich im ersten Moment wundern, warum die Leute so um ihr Dorf kämpfen... durch eine vorherige Erweiterung ist der Hafen schon bis an die Stadtgrenze herangeschlichen, bedrohlich und omnipräsent...
Auf der anderen Stadtseite ein Kernkraftwerk. Wirklich ein traumhafter Ort zum leben denkt man sich!
Und dennoch, es wird gekämpft um eine Stadt die einmal sogar eine Insel war. Eine Stadt mit Tradition die bis ins Jahr 1267 zurückverfolgt werden kann... und nun wegen der Habgier weichen soll. In der Hinsicht ist es ein Kampf für Traditionen, für Existenzen, die Bewohner setzen ein Zeichen für Generationen und nicht nur für sich. Dennoch wurde der Druck für viele zu groß. Viele verließen Doel, aus Angst, wegen der unsicheren Lage und beugten sich den Plänen und leerten die Straßen fast vollends... auch wenn die Bewohner die Option hatten, wenn die Erweiterung doch nicht vollzogen wird ihre Häuser zum gleichen Preis wieder zurückzubekommen, so versprach es die Bank... so verfallen die Gebäude vor sich hin...
...es ist wirklich eine komische Atmosphäre durch die man sich bewegt... eher wie in einem Horrorfilm, bekannt höchstens von alten Kasernen und nicht von einer ganzen Stadt...
...aber immer wieder mit dem Zeichen von Widerstand und von Leben!
...und trotzdem umzingelt vom Kommerz...
Wir kennen solche Orte eventuell durch den Bergbau sogar in größerem Maßstab, aber nirgendwo habe ich bisher diesen Widerstand, dieses aufbäumen erlebt. Bis 2006, also 11 Jahre nach der Absegnung der Pläne zählte die Stadt immernoch 202 Einwohner, obwohl 2003 die Dorfschule sogar schon schließen musste, da sie nur noch 8 Anmeldungen bekommen hat, wollten 10% der Bewohner den Kampf immernoch nicht aufgeben. Und langsam gewann das Ganze Aufsehen in den Medien. Hausbesetzer folgten den Hilfeschreien, geschätzt 150-200 sammelten sich zu der Blütezeit des Widerstands in der Stadt und unterstützten die restlichen Bewohner. Es folgten Unmengen von Anzeigen wegen Einbruchs und Hausfriedensbruch gegen die Besetzer, da die Bank die das ganze verwaltete ja mittlerweile im Besitz vieler Häuser war. Es wurden zur Eingrenzung und wegen der baufälligen Zustände Gebäude im Auftrag der Bank abgerissen, sie wollten ein Zeichen setzen und schafften sich so selbst ein Problem. Der Abriss war nicht genehmigt, es galt noch nicht als Werskgelände sondern als ausgeschriebene Stadt und somit durften die Gebäude noch gar nicht weichen.
Eine Klage folgte und eine Strafe in Millionenhöhe!
Aber all das half nichts. Die Stadt wird weichen. Vermutlich stehen mittlerweile schon viele Häuser nicht mehr. Die Bank hatte die Nase voll, das Versprechen wird nicht gehalten, egal ob der Hafen erweitert wird oder nicht, die Stadt wird abgerissen.
Mit diesem Wissen standen wir da nun und fragten uns selbst, was würden wir in der Lage der Bewohner tun? Hätten wir die Kraft solch einen Widerstand zu betreiben? Vermutlich nicht. Vermutlich wird so etwas einmalig bleiben. Auch heute wo der Widerstand gebrochen scheint, hängen ab und an noch Banner, manche Leute wohnen immernoch dort, zum Teil gescheiterte Persönlichkeiten, wie ein Messi in einem alten Elektronikladen, der den streunenden Katzen und Hunden Futter vor die Tür gestellt hatte... Futter welches schon lange verschimmelt war, Wassernäpfe die schon lange leer waren, so leer wie das Innere dieses Menschen, der zwischen Müll in dem Laden saß... andere sind noch immer da um ein Zeichen zu setzen. Gärten wurden umgenutzt um Artikel über die Lage auszustellen, Gedichtsammlungen, Samlungen aus Comics die zum Thema passen oder sogar dafür gemacht wurde...
Wirklich gute Graffitis zierten viele Häuserwände. Meistens hatten sie nur ein Thema, den Umgang mit der Existenz von vielen zu demonstrieren, die Behandlung wie Ratten...
...die Ohnmacht der Leute, die wegen ein paar habgierigen Leuten ihr ganzes Leben hinter sich lassen mussten, ihrer Heimtsatdt bei der Zerstörung zusehen mussten...
...und so wanderten wir durch diese Stadt und trotz der Leute war es das Tor zu einer anderen Welt. Einer Welt aus Verzweiflung, aus Habgier und aus einem schier endlosen Willen zu Überleben. Es war ruhig dort, es war ein Ort zum Entspannen, trotz des Hafens auf der einen und dem Atomkraftwerk auf der anderen Seite...
Vielleicht wundert ihr euch, warum ich keine Bilder aus dem Innern der Häuser zeige? Das war nicht möglich, es fuhr durchgehend ein Herr durch die Stadt, der darauf aufpasste. Viel zu tun hatte er an dem Tag mit den ganzen Schaulustigen... viel meckerte er, bei uns musste er nicht meckern, kurze Blicke in aufgebrochene Türen waren das einzige was wir machten... ich kann nichtmal sagen ob wir sonst in die Gebäude reingegangen wären, vermutlich schon, aber vielleicht auch nicht. Wir sogen die Stimmung in uns auf und man fühlte sich schon irgendwie als Fremdkörper in einer Stadt die sich gegen alles gewehrt hat und trotzdem verlor... so war auch irgendwie die Frage im Hinterkopf, ob diese Stadt wirklich noch mehr ungewünschte Eindringlinge ertragen sollte... es fanden sich auch so genug Hinterlassenschaften...
Nach Stunden wollten wir uns langsam von der Stadt entfernen, so setzten wir uns zum Abschluss auf einen der Deiche, die die Stadt Ewigkeiten vor der Naturgewalt des Wassers geschützt haben... schauten uns nochmal um...
...und ich merkte eines... Naturgewalten sind lange nicht so schlimm, wie die reine Habgier der Menschen... vor Naturgewalten gibt es Chancen sich zu verteidigen, vor Geld und der Suche nach noch mehr Geld.... scheinbar nicht. So endete am späten Nachmittag unser Tag mit einer sehr ruhigen inneren Atmosphäre, Bildern als Dokumentation eines Niedergangs der nicht hätte sein müssen und dem Gefühl, ein Teil des Ganzen gewesen zu sein... wie ich eingangs sagte: Kann man es den Schaulustigen verübeln, dass sie auch ein Teil davon sein wollten? Ich denke eher nicht. Denn je mehr Leute sich diesen Niedergang zu Herzen nehmen, ein Teil davon werden, desto länger lebt Doel weiter...