myinnerwar
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PGR 156 schrieb:Nein, das gilt nicht, wenn Du eine Straftat begehst. Da hast Du ein Notwehrrecht nur dann, wenn Dir der Wachmann oder der Hund erkennbar an Leben oder Gesundheit will. Wenn er Dich nur an der Flucht hindern will, hast Du da kein Notwehrrecht.
Was den Hund betrifft, wäre das eh keine Notwehr, sondern Notstand.
Da ich gerade dank Krankenschein relativ viel Zeit und Langeweile habe, habe ich das mal zum Anlass genommen, mein Studienwissen theoretisch anzuwenden. Bin zwar kein studierter Jurist, habe mich aber durchaus ausgiebig mit juristischen Fragen auseinandersetzen müssen, um zumindest ein erweitertes Grundwissen vorweisen zu können.
Theoretische Fragestellung: Wann darf ein Wachmann bei einem Aufgriff seinen Hund gegen einen Schleicher einsetzen? Wenn ja, unter welchen Voraussetzungen?
Unter welchen Voraussetzungen darf sich besagter Schleicher dagegen wehren?
Grundüberlegung: Der Schleicher befindet sich unberechtigt auf befriedetem Gebiet, macht sich also des Hausfriedensbruches nach §123 (1) StGB schuldig: „Wer […] in das befriedete Besitztum eines anderen […] widerrechtlich eindringt […] wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.“
Der Wachmann erwischt den Täter nun „auf frischer Tat“, also auf dem befriedeten Gelände. Besagter Wachmann verfügt also zunächst über das Recht, die Personalien des Schleichers anzufordern, da er diese Tat bei der Polizei anzeigen und entsprechenden Strafantrag stellen möchte. Gibt der Schleicher diese ohne weiteres heraus, gibt es kein Problem und auch keinen Grund, eventuell vorhandene Hunde einzusetzen. Klarer Fall.
Auch wenn besagter Schleicher auf das Hinzuziehen der Polizei besteht, was sein gutes Recht ist - dem Wachmann gegenüber ist er nicht ausweispflichtig (§163b (1) stopp) -, sich dieser Maßnahme allerdings nicht durch Flucht entzieht, sondern geduldig auf das Eintreffen der Polizei wartet, gäbe es keine Rechtfertigung.
Besagter Schleicher wird nun aber vom Wachmann erwischt und möchte sich diesem sofort durch Flucht entziehen. Jetzt wird die Sachlage langsam interessant, da ab diesem Moment gegensätzliche Interessen abgewogen werden müssen.
Zunächst steht auf der einen Seite das Interesse des Wachmanns, den Flüchtigen zwecks Identitätsfeststellung festzuhalten. Dazu ist er nach §127 StPO berechtigt. Absatz drei legitimiert dies auch für den zweiten Absatz des §123 StGB.
Auf der anderen Seite steht zunächst einmal das Recht des Schleichers auf körperliche Unversehrtheit. Das sieht auch der BGH und hat deshalb in seiner Rechtsprechung bzgl. §127 StPO entsprechend eingeschränkt: „Unzulässig ist es daher regelmäßig, die Flucht eines Straftäters durch Handlungen zu verhindern, die zu einer ernsthaften Beschädigung seiner Gesundheit oder zu einer unmittelbaren Gefährdung seines Lebens führen.“ Einen mitgeführten Hund „loszulassen“, um den Schleicher an der Flucht zu hindern, ist also regelmäßig unzulässig, da sowohl durch die Kraft des Hundes, als auch durch mögliche weitere Gefahren wie Stürze etc. eine ernsthafte Beschädigung der Gesundheit oder eine unmittelbare Gefährdung seines Lebens zumindest nicht ausgeschlossen werden kann.
Wenn der Schleicher sich jedoch nicht nur durch Flucht entziehen möchte, sondern dabei auch den Festnehmenden, also den Wachmann angreift, darf der Wachmann dem entsprechend Gewalt entgegensetzen. Die rechtliche Deckung ist durch die Notwehr (§§227 BGB, 32 StGB) gegeben. Natürlich in den engen Grenzen des Notwehrrechts, Stichworte Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit. Die Erforderlichkeit sehen wir als gegeben an, der Schleicher greift den Wachmann an.
Die Verhältnismäßigkeit ist eine andere Sache. Setzt der Wachmann seinen Hund ein, setzt er quasi eine Waffe ein. Dies fiele, ohne eine Notwehrsituation, unter den §224 (1), Nr. 2 StGB, Gefährliche Körperverletzung. Der Schleicher muss den Wachmann also in einer Art angreifen, die den Einsatz einer Waffe erfordert. Schubst der Schleicher den Wachmann von sich weg, um anschließend weiter zu flüchten, ist dies zum Beispiel sicherlich kein Grund, von einer Waffe Gebrauch zu machen.
Der Wachmann hat also, zusammenfassend, in genau einer Situation die Rechtfertigung, seinen Hund „losuzulassen“ – und zwar wenn er von einem flüchtenden Eindringling in einer Art und Weise angegriffen wird, welche den Einsatz einer Waffe rechtfertigt.
So viel zur ersten Fragestellung. Doch wie sieht die rechtliche Perspektive des Schleichers aus? Diese gestaltet sich etwas komplizierter.
Zurück zum Anfang: der Schleicher flüchtet und wird vom Wachmann daran gehindert. Daraus ergibt sich für den Schleicher zunächst einmal kein Notwehrrecht. Er hat eine Straftat begangen, daher fehlt ihm das Notwehrrecht in diesem Falle, da die Festnahme ja durch §127 StPO gerechtfertigt ist.
Der Wachmann setzt zur Festnahme nun Gewalt ein, obwohl der Schleicher nur flüchtet. Dies ist durch §127 StPO so nicht mehr gedeckt, es entsteht nun ein Notwehrrecht auf Seiten des Schleichers, welches sich natürlich ebenfalls an den schon oben genannten Kriterien messen lassen muss.
Im schlimmsten Falle lässt der Wachmann direkt seinen Hund los, dieser fällt den flüchtenden an. An dieser Stelle ein Tierabwehrspray einzusetzen ist sicherlich erforderlich und verhältnismäßig und daher absolut legitim. Selbiges Spray gegen den Wachmann einzusetzen wird im Übrigen regelmäßig als überzogene Notwehr geahndet. Dieser Fall ist also ziemlich klar.
Etwas unklarer wird der Fall, wenn der Schleicher nun den Wachmann angreift und dieser sofort seinen Hund einsetzt. Ein Fall von intensivem Notwehrexzess, der Wachman wird sich aber durch Verwirrung, Furcht oder Schrecken rechtfertigen und daher Straffrei ausgehen. Der Schleicher hat nun seinerseits an und für sich kein Notwehrrecht mehr. Er darf sich jedoch trotzdem gegen diesen Hundeangriff wehren, denn er befindet sich in einem rechtfertigendem Notstand nach §34 StGB: „Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut eine Tat begeht, um die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden, handelt nicht rechtswidrig, wenn bei Abwägung der widerstreitenden Interessen, namentlich der betroffenen Rechtsgüter und des Grades der ihnen drohenden Gefahren, das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt. Dies gilt jedoch nur, soweit die Tat ein angemessenes Mittel ist, die Gefahr abzuwenden.“
Das klingt erst einmal kompliziert, ist aber an und für sich recht einfach wenn man es Stück für Stück zerlegt.
„Gegenwärtige, nicht anders abwendbare Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut“: Ein Hundeangriff durch einen übereifrigen Wachmann ist natürlich gegenwärtig, er findet ja gerade statt. Er ist im Regelfall auch nicht anders abwendbar, indem der Schleicher z.B. in sein Auto flüchtet oder auf einen Baum klettert, dafür reicht die Zeit in der Regel nicht, Hunde sind verdammt schnell. Auch Leib und Leben sind klar gefährdet, die Gefährdung seiner Freiheit hat der Schleicher ja nach wie vor hinzunehmen.
„Abwägung widerstreitender Interessen, namentlich der betroffen Rechtsgüter und des Grades der ihnen drohenden Gefahren“: Hier widerstreiten das Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit des Schleichers auf der einen Seite und auf der anderen Seite das Recht des Wachmanns auf Unversehrtheit seines Hundes (Hunde gelten ja nach §90a Satz 2BGB als Sachen). Selbstverständlich gilt die körperliche Unversehrtheit eines Menschen höher als die eines Tieres (Tierrechtler werden mich jetzt liebsten steinigen wollen, ich sehe das auch eher skeptisch, aber ich habe die Regeln nicht gemacht!). Und auch der Grad der Gefahren ist klar verteilt: Der Biss eines Wachhundes hat auf einen Menschen schlimmere Auswirkungen als eine Nase Pfeffer für den Hund.
Das geschützte Interesse überwiegt das beeinträchtigte also wesentlich, der Einsatz von Pfefferspray ist ebenfalls ein angemessenes Mittel.
Streng genommen hat sich der Schleicher durch den Einsatz von Pfefferspray in Tateinheit der Tierquälerei nach §17 Nr. 2 TierschG und der Sachbeschädigung nach §303 StGB schuldig gemacht, geht aber durch den rechtfertigenden Notstand straffrei aus, da beide Tatbestände in diesem Kontext nicht strafbar sind.
Wird ein Schleicher als selbst Opfer eines Notwehrexzesses durch einen Hund, darf er sich mit Pfefferspray oder anderen geeigneten Mitteln dagegen wehren.
Es gibt natürlich noch weitere Spezialfälle wie den entschuldigenden Notstand, Putativnotwehrsituationen und Putativnotwehrexzesse, aber das würde jetzt zu weit führen. Ich denke aber, dass ich einen kleinen Einblick in das gegen konnte, was am Ende einer solchen unglücklichen Situation am Ende als juristische Betrachtung hervorkommen kann. Wenn auch sehr wortreich, aber manches geht nicht kürzer. Unser deutsches Recht ist nun leider alles andere als einfach.