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Unterirdische Rüstungsverlagerungen
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Die zunehmenden Bombenangriffe der alliierten Luftflotten führten seit Sommer 1943 zu erheblichen Produktionsverlusten in der Rüstungsindustrie. Bereits im Herbst 1943 plante das Reichministerium für Bewaffnung und Munition unter Alber Speer die "bombensichere" Verlagerung von wichtigen Rüstungsfertigungen in unterirdische Räume und verbunkerte Bauwerke. Als potentielle Verlagerungsorte kamen Höhlen, Eisenbahn- und Strassentunnel, Steinbrüche und versteckte Täler in Frage. Die Einrichtung und der Ausbau sowie die auch spätere Produktionsaufnahme waren mit dem Einsatz von Zwangsarbeitern, Kriegsgefangenen und KZ-Häftlingen verknüpft. Die umfangreichen Baumassnahmen standen unter der Aufsicht der Organisation Todt, die den Arbeitseinsatz eng mit SS und Gestapo koordinierte.
Die südwestfälische Region eignete sich aufgrund der gebirgen Topographie für die Errichtung von unterirdischen Werken und Betriebsanlagen. Gleichzeitig ermöglichten die Anbindung an das Eisenbahnnetz, ein gut ausgebautes Strassensystem und die Nähe des Ruhrgebiets günstige Voraussetzungen für eine projektierte Produktionsaufnahme. In der Umgebung von Hagen waren 1943/44 mehrere Örtlichkeiten mit Decknahmen versehen und für Verlagerungen vorgesehen worden. Allerdings kam es nur bei einzelnen dieser projektierten Produktionsstätten anscheinend zu grösseren Baumassnahmen.
Stollenmundloch, Steinbruch Emil, OberrödinghausenDas grösste und wohl auch wichtigste Bauprojekt im südwestfälischen Raum wurde im Spätsommer 1944 im versteckt liegenden Hönnetal zwischen Menden und Balve in Angriff genommen. Unter dem Decknamen "Schwalbe 1" entstand in einem Steinbruch bei Oberrödinghausen ein Stollensystem. Geplant war im Rahmen des "Geilenberg-Programms" von der Firma Rhein-Braun-Union in Wesseling die Einrichtung eines unterirdisches Hydrierwerks zur Herstellung von Flugbenzin. Die Rohstoffe, besonders verflüssigte Kohle bzw. Stein- und Braunkohlenteer, Wasser und Energie, sollten bei der für Sommer 1945 geplanten Produktionsaufnahme über Rohrleitungen aus dem Ruhrtal bzw. Ruhrgebiet herangeführt werden. Unter der Aufsicht der Organisation Todt, von der die "Oberbauleitung Hönnetal" gebildet wurde, erfolgte ein umfangreicher Einsatz von Zwangsarbeitern und Häftlingen. Die Gestapo Dortmund gab im Spätsommer 1944 die Kontrolle über das Arbeitserziehungslager Hunswinkel bei Lüdenscheid auf, um im Hönnetal ein neues Häftlingslager einzurichten. Dort wurden auch Häftlinge aus dem Arbeitserziehungslager bei den Klöckner-Werken in Hagen-Haspe eingesetzt.
Im Sommer 1944 war in einem Steinbruch bei Hagen-Ambrock unter dem Decknamen "Krebs 1" von der Ruhrchemie AG in Oberhausen die Einrichtung eines Betriebs zur Fischersynthese bzw. Treibstoffhydrierung geplant worden. Der Hagener Firma Felix Ruberg stellte das Rüstungsamt einen Bergstollen des Dolomitwerks in Hagen-Halden für die Fertigung von Bordwaffenlafetten zur Verfügung. Aber auch andere Hagener Firmen sollten ihre kriegswichtigen Fertigungsbereiche in unterirdische Werke verlagern, so z.B. Funcke & Hueck die Produktion von Spezialschrauben für die Flugbombe Fi 103 ("V 1") in den Silberbergtunnel ("Fasan") bei Ahrweiler. Der Accumulatoren Fabrik wurde für die Herstellung von Flugzeugbatterien eine stillgelegte Gipsgrube (Deckname: "Sild") in Siersburg im Saarland zur Verfügung gestellt.
Eisenbahntunnel Gevelsberg (April 1945; US-Army Signal Corps)Ein anderer "bombensicherer" Verlagerungsbetrieb entstand im Sommer 1944 in einem Eisenbahntunnel zwischen Gevelsberg und Schwelm, westlich von Hagen. Dort wurde ein Reparatur- und Ausrüstungswerk für Jagdflugzeuge eingerichtet. Bereits Ende 1943 hatten die Firmen Ludwig Hansen & Co. in Münster sowie Espenlaub bei Wuppertal die Genehmigng zur Einrichtungvon Verlagerungsbetriebe in vier Eisenbahntunnel, um die am ursprünglichen Standort von Bombenangriffen bedrohte Fabrikation sicherzustellen. Im 843 m langen Albringhausener Tunnel sowie im 350 m langen Tunnel bei Asbeck auf der Bahnstrecke Schwelm-Gevelsberg-Witten errichtete die Organisation Todt bis Mai 1944 die Betriebsanlagen. Die Belegschaft der Tunnelfabrik setzte sich überwiegend aus "Ostarbeitern" zusammen. Der "Schneetunnel" in Hattingen war als Produktionsbetrieb der Firma Hohmann, Wuppertal-Vohwinkel, zur Herstellung von Rumpfspitzen für den Düsenjäger Me 262 vorgesehen.
Neben diesen Verlagerungsaktionen nutzten die Rüstungsbehörden auch die versteckte Lage von Fabrikationsbetrieben in Kleinstädten und Tälern, um dort die Produktion von als besonders wichtig erachteten Zubehörteilen anzusiedeln. So befanden sich die Produktions- und Montagestellen für die im Herbst 1943 eingerichtete 2. Nachbauergruppe der Flugbombe Fi 103 ("V 1") am Nordrand des Sauerlandes sowie im Siegerland. Beteiligt waren die Firmen Krefft in Gevelsberg, Göcke & Sohn in Hohenlimburg, Vollmann & Schmelzer in Iserlohn und Gebr. Kramer in Menden. Die Zerstörung der Produktionsanlagen in der Endmontagestelle bei der Firma Krefft im November 1944 durch einen zufälligen Bombentreffer bei einem Nachtangriff auf Bochum führte zu einer Störung des Produktionsablaufes.
In der Region Hagen waren mehrere Steinbrüche, Eisenbahntunnel, Gebäude und Stollen für "bombensichere" Verlagerungsfertigungen vorgesehen:
In der Region Hagen waren mehrere Steinbrüche, Eisenbahntunnel, Gebäude und Stollen für "bombensichere" Verlagerungsfertigungen vorgesehen:
Decknamen Beschreibung Ort
Pyrit Werksstollen Hagen
Rump Steinbruch Hagen-Delstern
Buntkupfer Felsmassiv Weissenstein Hagen-Hohenlimburg
Krebs 1 Steinbruch Hagen-Ambrock
Kassiterit Steinbruch Iserlohn-Letmathe
Umber Stollen Iserlohn
Kauz Reichsbahntunnel Hattingen
Eichelhäher Reichsbahntunnel Gevelsberg-Asbeck
Falke Reichsbahntunnel Gevelsberg
Meise Reichsbahntunnel Schwelm-Linderhausen
Buchfink Reichsbahntunnel Gevelsberg-Silschede
Goldammer Reichsbahntunnel Gevelsberg-Klosterholz
Schwerspat Steinbruch Gevelsberg-Busch
Maultier Zeche Präsident Bochum
Ratte Zechenanlage Bochum
Pistazit Steinbruch Kalkwerke Hönnetal
Krone Balver Höhle Balve, Hönnetal
Eisenkies Steinbruch (Projekt Schwalbe 1) Oberrödinghausen, Hönnetal
Nach den "Grundsätzen für die Tarnbezeichnungen der unterirdischen Verlagerungsbauten", hrsg. vom RMfRK am 15.4.1944, sollten folgende Bezeichnungsgruppen verwendet werden:
Tiernamen = Bergwerks-Schächte; Fischnamen = Bergwerks-Stollen; Vogelnamen = Eisenbahn- und Strassentunnel; Pflanzennamen = Festungswerke; Münzkundliche Bezeichnungen = natürliche Höhlen; Männliche Vornamen = Stahlbetonbunker; Gesteinstkundliche Bezeichnungen = neu zu errichtende Stollen und Tunnel z.B. in Steinbrüchen